Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
HOTEL LUX
Hotel Lux
"In den sogenannten
Parteiversammlungen der Mitarbeiter des EKKI-Apparats, im Gebäude der Komintern,
in den Korridoren des Hotel Lux breiteten sich damals ein panischer Schrecken,
eine hysterische Angst vor einer ungreifbaren und doch so gut wie unentrinnbaren
Gefahr aus. Wenn im Büro einer der Mitarbeiter nicht zur Arbeit
erschienen war, nahmen seine Kollegen an, er sei in der Nacht durch die 'Organe
des NKWD' verhaftet worden. Sofort ergaben sich für jeden Einzelnen zahllose
Fragen: Wie wird das Verhältnis des Verhafteten zu mir vom NKWD ausgelegt
werden? fragte sich wahrscheinlich jeder im Stillen. Äußerlich aber
war jeder bestrebt, entweder unberührt zu erscheinen oder zu zeigen, daß
er diese Verhaftung seit langem erwartet habe. Niemand wollte engere persönliche
Beziehungen zu einem Verhafteten gehabt haben. Und weil in den sogenannten
Parteiversammlungen der Abteilungen und des gesamten Apparats die persönlichen
Verhältnisse und Beziehungen jedes Einzelnen schonungslos und schamlos
ausgebreitet, nachträglich bewertet und zu Gegenständen wochenlanger
Diskussionen gemacht wurden, waren
alle bestrebt ihre persönlichen Beziehungen zu anderen auf das notwendige
Minimum zu beschränken. ... Hinter Besuchen witterte man die Absicht des
Besuchers, etwas Spezielles in Erfahrung bringen zu wollen. Fast alle verleugneten
frühere Freunde, zitterten vor der Möglichkeit, einer ihrer Verwandten
könnte beschuldigt oder verhaftet werden, wodurch sie selbst automatisch
zum Gegenstand von Untersuchungen und Beschuldigungen würden. Jeder suchte
im Stille nach entlastenden Erklärungen für frühere Freundschaften,
Zusammentreffen und Ereignisse, aus denen ihm nun Gefahren erwachsen könnten.
In den sogenannten Parteiversammlungen aber waren fast alle einig in der Forderung
nach schonungsloser Ausrottung der Volksfeinde, während sie in zunehmendem
Maße einander mangelnder Wachsamkeit, unzulässigen Liberalismus und
der früheren Zugehörigkeit zu dieser oder jener Gruppierung bezichtigten.
...
Gerichtliche Urteile oder
Urteilsbegründungen wurden niemals veröffentlicht oder mitgeteilt.
Es blieb den 'Parteiversammlungen' überlassen, nachträglich und rückwirkend
herauszufinden, beziehungsweise zu erfinden, welche Momente aus dem Leben
und der Tätigkeit des Verschwundenen Anlaß zur Verhaftung oder 'Liquidierung'
gegeben haben konnten. Dabei galt als Axiom, daß NKWD sich niemals irre,
und daß Verhaftungen nur durchgeführt würden, wenn NKWD das
erdrückende Beweismaterial in Händen hätte. ...
Daß man mit sogenannten
Volksfeinden nicht sprechen durfte, daß die Frauen
von angeblichen Volksfeinden nach der Verhaftung ihres Mannes automatisch Wohnung
und Arbeitsplatz verloren und - falls sie der Partei angehörten - aus der
Partei ausgeschlossen wurden, war zur allgemeinen Regel geworden. Im Hinterhofe
des Lux war ein verfallenes Gebäude zum Wohnhaus für die Angehörigen
verhafteter Luxbewohner eingerichtet worden. Ihre Personalausweise berechtigten
sie nicht mehr zum Betreten des Lux selbst. ... Einige dieser Frauen hatten
versucht, Unterstützung durch die Rote Hilfe zu erhalten, um überhaupt
vegetieren zu können. Sie waren unter kränkenden Worten hinausgewiesen
worden. ...
Die Deutschen, die bei der
'Deutschen Zentralzeitung' beschäftigt
waren, wurden fast ausnahmslos verhaftet. ... Aus Leningrad und besonders aus
dem Wolgagebiete kamen Nachrichten, die über die Verhaftung vieler deutscher
Parteimitglieder berichteten. ... In ähnlichem Umfange in dem die deutschen
Parteimitglieder von den Verhaftungen betroffen wurden, wurden Ungarn und Balkankommunisten
in Mitleidenschaft gezogen. Gleichzeitig
mit den Verhaftungen wurden zahlreiche Ausweisungen vollzogen. Irgendein System
habe ich bei den sich überstürzenden und überschneidenden Maßnahmen
nicht erkennen können. Alles machte den Eindruck des blindwütigen
Wütens eines unpersönlichen Apparats. ...
Im Jahre 1940 ersuchte mich
Ulbricht, mit einem von der NKWD aus der Haft entlassenen Arzt zu sprechen,
der darauf bestanden hatte, mit einem deutschen Funktionär zu sprechen.
... Man hatte ihm zugemutet, nachzudenken und Angaben darüber zu machen,
ob nicht Wilhelm Pieck, der doch auch mitunter zu seinem Vater gekommen war,
Liebknecht und Luxemburg verraten und den weißen Offizieren ausgeliefert
hätte. Er erklärte, daß er mit allem fertig sei. Obwohl Jude,
sei er im Begriff, nach Deutschland
zurückzukehren, wenn ihm dort auch Konzentrationslager oder Schlimmeres
sicher sei. Er habe nichts mehr; seine Zeugnisse seien verschwunden, seine Anzüge
und sonstigen
Besitztümer
ebenfalls. Als er nach seiner Entlassung nach
diesen Dingen gefragt habe, sei ihm gesagt worden, ob er damit sagen wolle,
daß NKWD solche Sachen veruntreue. ...
Ende 1939 und während
des Jahres 1940 schickten oder zwangen Organe des NKWD deutsche
Flüchtlinge, die Asyl in der Sowjetunion gesucht hatten, zum deutschen
Konsulat. ... Nach Andeutungen Ulbrichts ging in jener Zeit
... eine umfangreiche, nicht an die Öffentlichkeit gelangende, Abschiebung
von Gefangenen und Nichtgefangenen vor sich. ...
Sie sei eine Mutter, der
man ihre
Kinder
genommen habe, und die nirgendwo Recht bekommen könnte.
Wir haben unser ganzes Leben lang für Gerechtigkeit gekämpft, wir
verlangten auch für uns nur Gerechtigkeit! rief sie. Hier stehe ich, sagt
mir doch, was mit meinen Kindern geschehen ist! Wenn die Arbeiter in Berlin
wüßten, was man mit uns macht!"
Herbert Wehner:
Zeugnis. Persönliche Notizen 1929-1942. Halle/Leipzig: Mitteldeutscher
Verlag 1990 (Köln Kiepenheuer und Witsch 1982), S.189-225
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