Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
VERSPRECHEN DER DEMOKRATIE
Versprechen der Demokratie
"[Es]
scheint ... mir ... sinnvoll, die Überlegung auf den Unterschied zwischen
den demokratischen Idealen und der 'realen Demokratie' zu konzentrieren.
... Von diesen nicht eingehaltenen Versprechen der Demokratie nenne ich
sechs. ...
[1.]
Die Gruppen und nicht die
Individuen
sind die Protagonisten des politischen
Lebens in einer demokratischen
Gesellschaft von heute. ... Das auf die Volkssouveränität gegründete
Modell des demokratischen
Staates,
das man sich in Analogie zur Souveränität
des Fürsten vorstellte, war das Modell einer monistischen Gesellschaft.
Die reale Gesellschaft, die den demokratischen Regierungen
zugrundeliegt, ist pluralistisch. ...
[2.] [Der]
endgültige Sieg der Repräsentation von
Sonderinteressen über die politische Repräsentation. ... Für
dieses System charakteristisch ist
ein Dreiecksverhältnis, in dem die Regierung ... nur noch als Vermittler
zwischen den gesellschaftlichen Gruppen interveniert sowie allerhöchstens
noch als (in der Regel ohnmächtiger) Garant für die Einhaltung der
geschlossenen Abkommen. ...
[3.]
Das Übermaß an Partizipation, das zum von Dahrendorf so genannten
und beklagten Phänomen des 'totalen Bürgers' führt, kann
zum Überdruß´an der Politik und zu wachsender Apathie
der Wähler führen. Oft ist die Gleichgültigkeit vieler der
Preis, den man für das Engagement weniger zahlen muß. ...
[4.] Wenn
man wissen will, ob in einem gegebenen Land eine Entwicklung der Demokratie
stattgefunden hat, so sollte man nicht danach Ausschau halten, ob die Anzahl
derjenigen gestiegen ist, die zur Beteiligung an den sie betreffenden Entscheidugen
berechtigt sind, sondern danach, ob die Anzahl der Räume oder Bereiche
gewachsen ist, in denen man dieses Recht ausüben kann. Solange in einer
fortgesetzten Industriegesellschaft die beiden großen Blöcke einer
Macht von oben, das Unternehmen und
der Verwaltungsapparat, noch nicht vom Prozeß der Demokratisierung ergriffen
wurden - wobei wir hier das Urteil darüber, ob dies nicht nur möglich,
sondern auch wünscenswert ist, suspendieren -, kann der Prozeß der
Demokratisierung noch nicht als abgeschlossen gelten. ...
[5.]
Kein antiker Despot, kein absolutistischer Monarch der frühen Neuzeit,
und wenn er sich mit Tausenden von Spionen umgab, war jemals in der Lage,
all die Informationen über seine Untergebenen zu
besitzen,
die heute
die demokratischsten aller Regierungen aus dem Gebrauch der elektronischen
Datenverarbeitung ziehen kann. ... Eine Entwicklungstendenz, die den Prämissen
der Demokratie zuwiderlief: ... die Tendenz, die nicht zur maximalen Kontrolle
der Macht durch die Bürger hinführt, sondern im Gegenteil zur
maximalen Kontrolle der Untertanen
seitens der Macht. ...
[6.]
Auch die wohlwollendsten Interpretationen können mir nicht den Gedanken
daran rauben, daß sich die großenen demokratischen
Schriftsteller
schwer daran täten, in der Weigerung vieler Bürger, ihr Recht
auf politische Beteiligung zu gebrauchen, eine Frucht der Erziehung zur
Bürgerschaft zu erblicken.
...
Von nicht
eingehaltenen Versprechen sprach ich. Aber waren es denn Versprechen, die eingehalten
werden konnten? Ich würde sagen, nein.
... Das politische Projekt der Demokratie [wurde] doch für eine Gesellschaft
von sehr viel geringerer Komplexität entworfen, als es die heutigen Gesellschaften
sind. Die Versprechen wurden nicht eingehalten aufgrund von Hindernissen, die
man entweder nicht vorhergesehen hatte oder die im Gefolge der 'Transformationen'
der (bürgerlich-zivilen) Gesellschaften hinzukamen. ... Ich nenne drei
socher Hindernisse. ...
[1.]
Die Demokratie beruht auf der Hypothese, daß alle über alles
entscheiden können. Die Technokratie geht im Gegensatz dazu davon
aus, daß nur die wenigen zur Entscheidung berufen sind, die von der
Materie etwas verstehen. ...
[2.]
Der Bürokratisierungsprozeß war in hohem Maße ein Ergebnis
des Prozesses der Demokratisierung. ...
[3.]
Außerdem steht die Geschwindigkeit, mit der die Forderungen seitens
der Bürger an die Regierung gestellt werden, im Kontrast zur Schwerfälligkeit,
mit der es die komplexen Verfahren eines demokratischen Systems der politischen
Klasse erlauben, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. ...
Nichtsdestotrotz
... auch die von ihrem Ideal am weitesten entfernte Demokratie kann keinesfalls
mit einem autokratischen und noch weniger mit einem
totalitären
Regime
verwechselt werden. ... Die so oft verlachten formalen
Rechte der Demokratie haben zum ersten Mal in der Geschichte Techniken zur
Lösung sozialer Konflikte ohne den Rekurs auf die Gewalt
eingeführt. ..."
Noberto
Bobbio: Die Zukunft der Demokratie. In: ders.: Die Zukunft der Demokratie.
Berlin: Rotbuch 1988, S.7-33.
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