Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
LEBENSÄSTHETEN
Lebensästheten
"'L'
ètat,
c'est moi.
Jeder Lebensästhet ist ein Aristokrat. ... Sein selbstgeschaffenes Fürstentum
regiert er mit absoluter Souveränität.
Seine Existenz ist nicht in erster Linie an weltlichen Zielen, an der tätigen
Moral des Bürgertums orientiert, sondern dient vor allem der Ausgestaltung
seines Herrschaftsbereichs. Sein Handeln
entspringt nicht dem Lustprinzip, sondern der Verpflichtung gegenüber dem
eigenen Ehrenkodex. Sein Ziel ist die Perfektionierung des Seins, der würdigen
Ausstattung der Gegenwart und der
Inszenierung einer glorreichen Geschichte.
Arbeit dient dem Lebensästheten
so nicht als Selbstzweck, Freizeit nicht als Oase der Selbstverwirklichung.
Die Verpflichtung gegenüber den selbstgewählten Kennzeichen seiner
Würde ist vielmehr allumfassend. ...
In Deutschland werden bis
zum Jahr 2006 Vermögen in Höhe von 2,6 Billionen Mark vererbt. Für
die Lebensästheten eröffnet sich damit tatsächlich auf breiter
Front die Möglichkeit, dem tätigen Leben
zu entsagen und, wenn auch in den meisten Fällen als bescheidene Existenz,
ihr Dasein in erster Linie der Umsetzung des lebensästhetischen Imperativs
zu widmen, anstatt die ökonomischen Zwänge der Lohnarbeit
zum Lebenssinn verklären zu müssen. Doch auch die zunehmende Unterstützung
durch Eltern, die das Treiben ihrer Sprößlinge mit bisher nicht gekannter
Langmut auch in fortgeschrittenem Alter subventionieren, ja selbst der ungesicherte
'Mac-Job', der über das Geldverdienen hinaus keinerlei Identifikation erfordert,
machen den Lebensästheten von der Ökonomie unabhängig. ...
So groß die Souveränität
im Innern auch sein mag, über die Weltgebäude
seiner Mitmenschen will und kann der Lebensästhet keine Herrschaft
erringen. Und so fehlt das unvermeidliche Pendant zum Herren, der Diener nämlich,
in der Welt des Lebensästheten völlig. Das einzige Modell menschlichen
Zusammenlebens ist das der Diplomatie zwischen souveränen Herrschern. ...
Die Lebensästheten
sind also kleine Despoten, die ihre eigene identitätsstiftende Nation
errichtet haben. Eine Nation, die ihre Geschichte pflegt (
Kindheit,
eigene Biographie)
und ihre spezifischen Symbole, Flaggen, Wappen, Uniformen (Wohnung, Styling
etc.) stolz präsentiert. ...
Erst wenn Fremdherrschaft
oder Eroberung (Bevormundung, institutionelle Zwänge) droht, werden selbst
friedliche Gemeinwesen zu verschworenen Verteidigungsgemeinschaften.
... Brennende Asylantenheime, Umweltkatastrophen, Kriege
und Krisen in aller Welt werden auf ihr Bedrohungspotential für die Unversehrtheit
des lebensästhetischen Projektes überprüft. Im
Falle des Falles entscheiden sich die kleinen Kabinette zur Generalmobilmachung,
greifen zur Kerze und halten Mahnwachen ab, boykottieren oder demonstrieren.
Diese Blauhelmmissionen der souveränen Lebensästheten sind natürlich
kurzlebige Aktionen. Verschwindet die Bedrohung, erlahmt auch sofort das Engagement.
Auf den Mechanismus allerdings kann man sich verlassen."
Johannes Goebel
/ Christoph Clermont: Die Tugend der Orientierungslosigkeit, zit.
bei Ulrich Beck: Was ist Globalisierung?
Frankfurt(Main): Suhrkamp 1997, S.246-249
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